Bitcoin braucht bessere Kritiker

Bitcoin steht immer wieder von vielen Seiten in der Kritik. Gut informierte, fundierte und auch interessierte Kritiker sind aber Mangelware.

Grüezi miteinander

Im Nachgang zum letztwöchigen Newsletter hat mich untenstehende anonyme E-Mail erreicht. Hoppla, da ist wohl jemand nicht allzu geschmeidig ins neue Jahr gerutscht. Nun gut, lassen wir mal Tonalität und Stil der Kritik beiseite. Sie ist halt leider auch inhaltlich schlecht. Das Sammelsurium an Kritikpunkten führt zu einem Mail, bei welchem ausschliesslich jeder aufgeführte Punkt falsch ist.

Jetzt könnte, resp. sollte, man solche Mails einfach ignorieren. Leider aber ist zumindest der Inhalt der Kritik in etwa auf dem Niveau vieler anderer Zweifler und Kritikerinnen. Einfachste Elemente von Bitcoin werden sowohl in den Medien, auf Twitter und in verschiedenen Podcasts immer wieder falsch dargestellt. Oftmals auch noch in Kombination mit einer schwer verdaulichen Arroganz. Wie jüngst Bestseller Autor Peter Zeihan eindrücklich bewies.

Wir angeln uns deshalb entlang der aufgebrachten Kritikpunkte und zeigen auf, wie es wirklich ist. Ausserdem schauen wir uns auch noch an, über welche Faktoren man sich tatsächlich kritisch unterhalten könnte.

Lesezeit: 9 Minuten 45 Sekunden

1. Bitcoin ist viel zu langsam, schwerfällig und nicht sicher

Bei der Blockchain (oder wie Satoshi sagte "Timechain") Technologie ist man immer mit einem Trilemma konfrontiert. Man muss sich auf zwei der drei Faktoren Dezentralisierung, Sicherheit oder Skalierbarkeit fokussieren. Alle drei gleichzeitig geht nicht. Bitcoin ist optimiert auf Sicherheit und Dezentralisierung. Deshalb mag Bitcoin auf den ersten Blick sehr langsam erscheinen. Oftmals wird der Vergleich der Anzahl Transaktionen beim Visa Netzwerk (ca. 24'000 pro Sekunde) ggü. Bitcoin (momentan ca. 4.5 pro Sekunde, bis zu 10 möglich) als Beweis herangezogen. Dieser Vergleich greift aber zu kurz, hier ist warum:

  • Bitcoin skaliert auf Level-2 Lösungen wie bspw. Lightning. Sehr vereinfacht ausgedrückt werden Sats (100m Sats = 1 Bitcoin) reserviert, um damit kleine Beträge bezahlen zu können. Es gibt aber nicht jedes Mal eine Transaktionen auf der Bitcoin Timechain, sondern es werden nur jeweils die Salden gebucht. Wenn ich also bspw. 4.8m Sats (ca. 1'000.- CHF, Stand heute) auf einem Lightning Wallet habe und damit 15 verschiedene Artikel zwischen 0.20 CHF und 350.- CHF mit einem Total von 799.- CHF kaufe, gibt es nicht 15 einzelne Transaktionen auf der BTC Timechain, sondern nur eine am Schluss mit einem Saldo von 201.- CHF. Mit Lightning können Stand heute sagenhafte 1'000'000 Transaktionen pro Sekunde abgewickelt werden zu praktisch inexistenten Kosten.

    • Die Skalierung in Schichten ist sehr ähnlich wie im traditionellen Finanzwesen oder auch in entfernteren Sphären wie bspw. dem Internet (TCP/IP ist das Basis-Protokoll und alles andere wird darauf gebaut). Kreditkarten/Twint etc. sind auch schneller als Transaktionen zwischen (National-)Banken. Für die Geschwindigkeit zahlt man mit tieferer Sicherheit und höheren Gebühren. Bei Bitcoin und Lightning fallen aber noch die höheren Gebühren weg.

Alles was man für das Geld der Zukunft braucht, ist eine grundsolide und unglaublich sichere Basis. Skalierung und schnelle Weiterentwicklung geschieht in den darauf aufbauenden Schichten. Und dies in rasantem Tempo:

2. Bitcoin ist nicht dezentral wegen Hashrate Konsolidierung

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zuerst kurz den Mining Prozess erklären:

Bitcoin Mining ist der Prozess, bei dem die Miner in sehr hoher Geschwindigkeit grosse Zahlen erraten. Wenn sie richtig liegen, schreiben sie den nächsten Block mit allen Transaktionen der letzten ca. 10 Minuten. Alle zwei Wochen findet das sogenannte "Difficulty Adjustment" statt. Werden Blocks in weniger als 10 Minuten gefunden, wird die Schwierigkeit höher und umgekehrt. Eine geniale Entdeckung von Satoshi. Über die letzten Jahre ist diese Schwierigkeit stark angestiegen, was die Sicherheit von Bitcoin stark erhöht. Die landläufige Meinung, dass Miner sehr komplizierte Rechnungsformeln lösen ist falsch. Es ist lediglich ein Raten von Zahlen und alle können partizipieren. Man muss einfach Rechenleistung (d.h. Arbeit) investieren. Die glücklichen Miner, welche den Block als erstes finden, werden heute mit 6.25 Bitcoin belohnt (ab April 2024 nur noch mit 3.125 und dann immer mit 50% weniger alle vier Jahre).

Man kann sich das wie bei einem Spiel in der Schule vorstellen. Die Lehrerin sagt, die Schüler sollen sich eine Zahl zwischen 1-1'000 ausdenken und definiert eine Spannbreite von 100-150 als Gewinner-Zahlen. Die Schülerin, die als Erstes die richtige Zahl errät, kriegt eine Belohnung. Je mehr Schüler am Spiel partizipieren und je schneller sie Zahlen raten, desto schneller wird die Zahl erraten. Geht das zu schnell - in Bitcoin's Fall schneller als 10 Minuten - wird die Spannbreite auf bspw. 120-140 verkleinert und umgekehrt.

So funktioniert Mining. Also eigentlich ein riesiges Lotto Spiel, dass man nur mit mehr Leistung gewinnen kann. Stellt man als Unternehmen sehr grosse Rate-Leistung (im obigen Beispiel wäre das, wie wenn plötzlich 18 von 20 Schüler zusammen raten würden), würde es für kleinere private Miner fast unmöglich, Blocks zu finden. Deshalb wurden so genannte Mining Pools geschaffen. Diese konsolidieren viele kleinere und partizipieren gemeinsam am "Ratespiel". Wenn ich jetzt also als kleiner privater Bitcoin Miner mit 0.01% an einem Mining Pool partizipiere, habe ich trotzdem eine faire Chance, regelmässig mit 0.01% belohnt zu werden.

Zur Kritik, Bitcoin sei nicht dezentral, ist dementsprechend folgendes zu sagen:

  1. Mining Pools bestehen aus tausenden kleinen, dezentralen Miner. Es ist lediglich ein Mechanismus, die Belohnung fairer zu verteilen.

  2. Bitcoin Miner haben keine Macht über das Protokoll. Sie bestätigen nur Transaktionen. Das war sehr schön zu sehen in den Jahren 2015-2017. Damals wollten über 90% der Miner das Protokoll ändern und die Blockgrösse verändern (daraus entstanden Bitcoin Cash und Bitcoin SV). Die Dezentralität des Protokolls liegt aber in der Verantwortung der Nodes. Sehr empfehlenswertes Buch dazu ist "Block Size Wars: the battle over who controls Bitcoin's protocol rules."

3. Bitcoin hat keinen inneren Wert und es ist nichts dahinter

Diese Kritik zeugt allgemein von einer überheblichen und möchtegern allwissenden Weltvorstellung. Wer definiert, was für wen wieviel Wert hat? Was ist der innere Wert eines Picasso Bildes? Die Farbe, die Leinwand oder ist es vielleicht die Rarität? Wie hoch ist der Wert einer Wasserflasche, wenn man in der Sahara auf dem Trockenen sitzt? Wie hoch ist er aber, wenn man neben einer Frischwasserquelle steht? Wie hoch war der Wert eines Autos für eine ukrainische Familie im 2022 ggü. 2019? Wie hoch ist der innere Wert einer Tesla Aktie?

Kurz: Wert eines Produktes oder einer Dienstleistung ist sehr subjektiv. Definiert durch persönliche Präferenzen und aktuelle Lebensumstände. Einzig der freie Markt kann Wertvorstellungen der Menschen auf einen Nenner bringen.

Bitcoin hin oder her. Immer wenn jemand sagt, sie oder er wüsste, wie hoch der innere Wert eines Produktes oder einer Dienstleistung für die Menschen ist, sollte man sehr skeptisch sein.

Im Zusammenhang mit Bitcoin ist ganz klar, dass der Wert einer nicht konfiszierbaren, nicht manipulierbaren und barrierefreihen Währung enormen Wert hat für einen Grossteil der Bevölkerung.

4. Dafür Energie zu verschwenden macht keinen Sinn

Der dritte Kritikpunkt "es ist nichts dahinter" zusammen mit "verbraucht zu viel Energie" aufzubringen, ist immer äusserst amüsant. Etwas braucht zu viel Energie und es ist nichts dahinter. Muss man sich erstmal auf der Zunge zergehen lassen.

Nun gut, wenn man über den Widerspruch in einem Satz weg schaut, ist auch die Energieverschwendung an sich falsch. Bitcoin verschwendet keine Energie. Bitcoin konserviert Energie und stellt damit die Sicherheit der fairsten und von Menschen nicht veränderbaren Währung sicher. Anstelle von "Bitcoin braucht mehr Energie als Dänemark", sollte es demnach auch eher heissen "Man muss mehr Energie als Dänemark aufwenden, um eine einzige Transaktion zu fälschen". In der Ausgabe vom 31. August bin ich vertieft darauf eingegangen und sonst gibt es hunderte von guten Ressourcen zu Bitcoin und Energie online. Bspw. diese Präsentation von Michael Saylor am MIT (Massachussets Institute of Technology):

5. Bei normalen Währungen ist eine ganze Volkswirtschaft dahinter

Auch das stimmt nicht. Die erfolgreichsten Volkswirtschaften zeichnen sich durch eine möglichst unabhängige Geldpolitik aus. Natürlich geniesst der CHF auch Vertrauen, weil die Schweiz politisch sehr stabil ist und wir damit Steuern bezahlen. In der Schweiz ansässige Unternehmen - und damit die Volkswirtschaft - operieren aber auch mit anderen Währungen. Andere Länder, wie bspw. die Türkei hatten eine intakte, gut funktionierende Volkswirtschaft. Und trotzdem ist die türkische Lira im freien Fall. Dasselbe gilt für den Libanon und das libanesische Pfund. Der Niedergang einer Volkswirtschaft folgt häufig auf den Niedergang einer Währung. Und nicht zwingend umgekehrt.

Hinter einer "normalen" Fiat-Währung steht das Vertrauen in die Zentralbank und nicht in die Volkswirtschaft. Hinter Bitcoin steht das Vertrauen in physikalische und mathematische Gesetze - und nicht in Menschen.

6. Bitcoin wird verboten

Es ist tatsächlich davon auszugehen, dass Bitcoin in den ersten paar Jahren Gefahr lief, verboten zu werden. Die Dezentralität und das Wissen über die Errungenschaft waren noch zu klein und dementsprechend die Anfälligkeit für Attacken von Staaten noch gross.

Das dürfte auch der Grund gewesen sein, wieso Satoshi Nakamoto 2010 Julian Assange bat, NICHT Bitcoin zu verwenden für Wikileaks Spenden. Das Risiko war zu gross.

Diese Zeiten sind aber längst vorbei. Das Bitcoin Netzwerk ist weltumspannend, politisch neutral und incentiviert vielmehr zur Teilnahme, als zum Verbot. Sollten sich trotzdem Politikerinnen und Interessengruppen für ein Verbot einsetzen, müssten sie sich auf "on-ramps" konzentrieren. Sprich auf Firmen und Börsen, die es ermöglichen Bitcoin zu kaufen und verkaufen. Geschähe so etwas beispielsweise koordiniert in der westlichen Welt (Europa und USA), hätte es wohl temporäre Preisschwankungen zur Folge und vermutlich würde die Hashrate (siehe Punkt 2) kurzfristig sinken. Am Protokoll würde sich aber genau nichts ändern.

Vielmehr wären andere Teile der Welt stark incentiviert, Bitcoin Mining sehr erfolgreich zu betreiben und sich von der Dominanz des USD weiter zu entfernen. Statt nach Verboten sollte man sich vielmehr damit auseinandersetzen, welche positiven Effekte Bitcoin für eine Volkswirtschaft haben könnte.

7. Bitcoiner sind Spekulanten und hoffen auf einen Preisanstieg

Insbesondere auf Twitter sieht man häufig Kritiker, welche sich über eine toxische, aggressive und bisweilen sektenhafte Kultur in der Bitcoin Szene beklagen. Tatsächlich gibt es auch Teile der Bitcoin Kultur, welche auf den ersten Blick etwas überwältigend sein können. Aber erstens, gibt es nicht DIE Bitcoin Kultur, sondern es bestehen vielmehr ganz viele verschiedene Stossrichtungen. Und zweitens ist es ein Huhn-Ei Problem. Wenn man tagtäglich mit Kritikern konfrontiert ist, die sich keine 60 Minuten Zeit nehmen, das Produkt zu verstehen und am Laufmeter faktisch falschen Stuss rauslassen, lässt irgendwann verständlicherweise auch die Geduld nach.

Bitcoiner sind aber grösstenteils genau das Gegenteil von Spekulanten. Dank einiger Erfahrung mit verschiedenen Start-Up Industrien kann ich getrost sagen, dass ich noch nie mit einer solch Sinn- und Missions- getriebenen Bewegung zu tun hatte. Der Preis in Fiat-Währungen hat logischerweise Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung. Aber man muss sehr weit suchen bis man eine Industrie findet, in der der Grossteil der Teilnehmer Freude an einem 80% Kursrückgang hat. Bei Bitcoin findet man das. Nicht nur wegen sich selber, sondern auch weil der positive Effekt der Menschheit grösser ist, wenn mehr davon profitieren können.

Welche Punkte sollte man aber kritisch beobachten

Natürlich ist Bitcoin nicht perfekt. Nichts ist perfekt. Es gibt wenige Punkte, die man als Ganzes kritisieren kann. Aber es gibt einige, die man kritisch beobachten muss. Untenstehend eine nicht abschliessende Liste, mit der man als Kritiker starten könnte:

  1. Distributionskurve war am Anfang sehr steil. Durch das alle vier Jahre stattfindende Halving war die Distribution von Bitcoin insbesondere in den ersten Jahren enorm steil. Das heisst, ganz frühe Investoren haben stark profitiert. Rückblickend muss man aber auch sagen, dass das Risiko vor 10 Jahren massiv höher war als heute. Bitcoin ist paradoxerweise weniger riskant bei höherem Preis als umgekehrt. Von da her rechtfertigt das eingegangene Risiko wohl den überproportionalen Ertrag. Zudem sind wir in der Gesamtbetrachtung immer noch ganz am Anfang. Es bleibt also noch etwas Zeit, sich richtig zu informieren.

  2. Dezentralität der Nodes: Bitcoin Nodes stellen die Sicherheit des Protokolls sicher. Daher gilt es mit Argusaugen zu beobachten, wie sich die Verteilung der Nodes entwickelt. Es ist enorm wichtig, dass die technischen Anforderungen tief bleiben (deshalb gab es die oben beschrieben "Block Size Wars"). Je höher die technischen Anforderungen an eine Node, desto höher die Kosten, desto tiefer die Dezentralität. Die ist bei Bitcoin schon sehr stark - aber mehr ist immer besser.

  3. Dezentralität der Miner (siehe Punkt 2 oben): Wenn auch nicht ganz so zentral wie die Dezentralität der Nodes, doch auch wichtig für das langfristige Prosperieren. Konzentrieren sich zu viele auf einen kleinen Raum (bspw. früher China, heute USA), so besteht das Risiko, dass Mining plötzlich verboten wird. Das hätte einen temporären Rückgang der Hashrate und damit gewissermassen der Sicherheit der Transaktionen und vermutlich starke Preisvolatilität zur Folge. Das ist insbesondere für die Leute in weniger entwickelten Länder ein grosses Problem.

  4. Transparenz der Bitcoin Core Developer: Das Bitcoin Protokoll ist OpenSource und damit für jedermann zugänglich. Alle können Änderungen vorschlagen, den Code kopieren und ihre eigene Version davon erstellen. Die Entwicklungsprozesse sind sehr transparent und jeweils als BIP (Bitcoin Improvement Proposals) einsehbar. Diese Transparenz ist tief im Bitcoin Ethos verankert und wird bislang auch immer so umgesetzt. Es ist jedoch sakrosankt, dieses Prinzip hoch zu halten und es von allen Teilnehmenden und stets kritisch zu beobachten. Für Nicht-Programmierer (wie mich) ist das teilweise sehr kompliziert und man ist auf transparente und einfach verständliche Informationsquellen angewiesen.

Weitere fundierte Kritikpunkte nehme ich gerne entgegen. Oder debattiere sie auch jederzeit mit einem informierten Bitcoin Kritiker. Abgesehen von ein paar konstruktiv kritischen, sehr technischen und persönlichen Gesprächen ist es leider tatsächlich so, dass noch keine fundierte Kritik öffentlich in Erscheinung trat.

Deshalb: Bitcoin braucht bessere Kritiker.

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